Frauen in Männerhemden

Jan 14th, 2014 by Lutz Spilker

Wie oft hat man das schon im TV oder in irgendwelchen Kinofilmen gesehen. Plötzlich erscheint eine Frau in einem Hemd – in einem Männerhemd. Aber warum? Ist es bequemer, das Hemd eines Mannes? Vielleicht lässt es sich sogar schneller anziehen? Will man womöglich, wenn auch nur durch die Blume zugeben, dass die Herrenwelt ein attraktiveres Textil besitzt?

Wenn Männer ihre Klamotten also wild verstreut ausziehen und nicht, wie es ihnen schon seit frühester Kindheit beigebracht wurde, fein säuberlich über einen Stuhl zu hängen haben, warum ist das Hemd dann greifbarer? Und wohin legt die Frau ihre Montur beim Ausziehen?

Noch anders gefragt hieße es: Warum ziehen sämtliche Frauen beim ersten oder x-ten Date etwas derartig Unbequemes an, sodass sie im Notfall auf die Garderobe ihres Partners zurückgreifen?

Sicher – Frauen in Männerhemden transportieren immer so etwas ganz Bestimmtes. Einerseits wirkt das Männerhemd bei ihnen wie ein Minirock und zum anderen gibt die Situation der Fantasie des Betrachters die Peitsche. Männer haben im Bett mehr an als Frauen. Männer tragen ihre Socken selbst beim Duschen.

Es ist schwer zu verstehen. Frauen stehen zunächst einmal bei sich zu Hause vor dem Kleiderschrank und öffnen ihn. Eine circa acht Meter lange Schiebetür aus massiver Eiche oder rostfreiem Stahl wird mühelos gewuchtet – sie dient dem Nachbarn gleichsam als Garagentor. Man muss eben schmal kalkulieren, wenn der Bausparvertrag … das Problem ist nicht unbekannt. Der Nachbar wundert sich zwar, warum das Garagentor zu gewissen Zeiten ein Eigenleben zu besitzen scheint, aber er hat sich mittlerweile daran gewöhnt und weiß, dass es sich nicht um Einbrecher handelt.

Sie schaut stundenlang – es fühlt sich jedenfalls so an – in den geöffneten Schrank und murmelt wie ein Voodoo-Priester vor sich hin. Ständig brabbelt sie solche Sachen wie nichts da oder ich hab nichts anzuziehen.
Würde man den Gegenwert der im Schrank vorhandenen Garderobe berechnen, müsste sie sich die Türe nicht mit dem Nachbarn teilen.
Doch so, wie sie jetzt da steht, den Kopf von links nach rechts wippend, die Hände zur Faust geballt und in die Hüften gestützt und mit einem Fuß einen nicht hörbaren Takt auf den Teppichboden tippen, demonstriert sie wütende Unentschlossenheit in Reinkultur. Jede Fliege im Raum sollte sich schnellstens verdrücken, einen Helm tragen oder unbegründet draufgängerisch veranlagt sein.

Da steht die arme Frau vor einem farbenfrohen Wäscheparadies und würde selbst unter schwerster Folter behaupten, sie hätte nichts – aber auch rein gar nichts – zum Anziehen.

Pullover, Kostüme, die Blusen und Shirts,
Mäntel und Röcke, die kurzen für Flirts,
Jacken und Jeans sowie Hüte und Kappen,
Jogginganzüge, die weiten und knappen.

Eine erbärmliche Situation, ein Trauerspiel. Ach was: Sie führt ein Drama der Sonderklasse auf. Allein aus Solidarität sollten jedem die Tränen in die Augen schießen – jedoch vor Lachen.

Und nun klopft man der Dame – damit sie nicht erschrickt – ganz sachte auf die Schulter, um sie diesem bedauernswerten Zustand unnarkotisiert zu entreißen. Sie dreht ihren Kopf und ihr Gesicht signalisiert Empfang. Jetzt bieten wir ihr im selben Wert des Vorhandenen an, sich neue Garderobe kaufen zu dürfen. Sofort.
In Lichtgeschwindigkeit und ohne Navigationsgerät prescht sie in die entsprechenden Läden, verstaut wieder alles fein säuberlich im Schrank und behauptet danach erneut steif und fest, dass sie nichts anzuziehen hätte. Dieses Spielchen kann beliebig oft wiederholt werden … das Ergebnis wäre stets dasselbe. Es gehört zu einem der großen Mysterien der Menschheit.

Niemand stellte bisher eine Studie darüber an, was Frau dazu veranlasst etwas offensichtlich Unbequemes zum Anziehen zu wählen. Es ist wahrscheinlich einer dieser nimmer ruhenden Schutzmechanismen im Gehirn, der diese Tat steuert. Wie sonst wäre es erklärbar. Und dann schlüpft sie hinein. Jetzt erst macht sich der Pilates-Kurs bezahlt. Zahllose Knöpfe, von Klingonen codierte Konstruktionen und Reißverschlüsse so weit das Auge reicht. Entweder zieht man es über den Kopf an oder man steigt durch eine geheime Öffnung hinein, streift es wie eine Wurstpelle über oder wickelt es unerwartet um sich herum. Es ist allerdings ein Designerstück, schmeichelt der gesamten Erscheinung und macht eine gnadenlos schlanke Taille – wenn man es erst einmal fehlerfrei anhat.

An anderen Tagen steht sie ebenfalls vor dem Schrank. Sie muss ins Büro. Sachbearbeiterin. Aber was zieht man da an? Eine Bluse? Da kann man immer den einen oder anderen Knopf aufmachen und der Chef ist zufrieden mit der Arbeit.
Erscheint man jedoch mit einem Rollkragenpullover, hat die Zufriedenheit gerade frei. Zieht man einen knappen Rock und Pumps an, gaffen die Kerle. Kommt man in Jeans und bequemen Schlappen daher, spürt man keinen Verfolger-Blick. Das ist sexuelle Belästigung. Wenigstens einer könnte doch gucken.

Menschen, ob Männlein oder Weiblein, machen sich unentwegt Gedanken darüber, ob ihre Entscheidung – von oftmals völlig unbekannten Personen – wohlwollend oder niederschmetternd aufgenommen wird. Jeder will geliebt und jeder will umsorgt werden. Jeder will, dass man ihn gern hat. Selbst jene die immer sagen ach habt mich doch alle gern. Auch die und da herrscht Einigkeit, wollen geliebt werden. Und dann zieht man etwas in dem Glauben an, der andere würde es mögen. Und Frau sagt sich: Er mag was ich angezogen habe. Er mag es sogar sehr!

Aber zurück zum Date.
Er findet es oberscharf, wenn sie sein Oberhemd trägt. Sie fühlte sich noch am Abend davor nicht ganz sicher, ob sie seinen Achselgeruch mag. Mittlerweile interessiert es sie nicht mehr, ob er überhaupt Achseln hat. Das Hemd stinkt nach Qualm, es lag auf dem Boden, genau über den Socken, aber auch spielt nun keine Rolle mehr.
Und dann beginnt dieses bekannte Spiel.
Er will sein Hemd wiederhaben. Nicht, dass er es jetzt anziehen will und es allein darum benötigt. Nein, er will es einfach haben, es ist schließlich seins. Und er will, dass sie es auszieht. Er will sie ohne Hemd sehen, also nackig. Er hat nachgeladen, er kann wieder … daher weht der Wind.

Und erneut beginnt diese Rangelei, die einer Kissenschlacht ohne Kissen gleicht. Sie wehrt sich zwar mit aller Kraft, aber nicht konsequent. Nicht zu einer Sekunde hat er das Gefühl, sie täte es, um den Siegerkranz zu erobern. Sie spielt mit, weil es ein Spiel ist und es Spaß macht.

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