Um es gleich vorweg zu sagen, aber billiger als eine Mittelmeerkreuzfahrt war es nicht. Die unbändige Sucht nach Freiheit und die Verwegenheit eines Abenteuers sind es immer wieder, die gestillt werden wollen. Die Nähe zur Natur und dieser nicht schlummern wollende Ruf nach etwas Rustikalem.
Der Gedanke daran, dass man Gewohnheiten wie zum Beispiel fließend warmes Wasser zu jeder gewünschten Gelegenheit besitzt, wird gegen kilometerweites Umherirren zum Klo und der Tatsache, dass keine Nägel in die Wände zu schlagen sind, eingetauscht. All das wäre Grund genug, diese Unternehmung abzublasen. Aber der Mensch entscheidet nach der Geburt nicht ein einziges Mal mehr allein.
Zumindest hat es den Vorteil, keine Bilder anbringen zu müssen. Zuerst wird ein Zelt erstanden und dabei ist nicht nur die Größe wegen des Komforts entscheidend, sondern auch die Farbe. Man will sein auf- und abbaubares Zuhause schließlich wiederfinden, wenn man Duschen war oder sonstige Geschäfte zu erledigen hatte oder sich sogar in der platzeigenen Schänke ein paar Pils wegzischte.
»Wie viele Personen sollen in dem Zelt wohnen?«, fragte der Verkäufer der Campingabteilung im Kaufhaus.
»Wohnen?«, wiederholte Karl etwas irritiert und schaute sich fragend um. »Wir wollen Campingurlaub machen und nicht darin wohnen!«, bekräftigte er.
Seine Frau nickte.
»Das Zelt ist für uns beide«, sagte Karl und tanzte mit dem Zeigefinger in der Luft herum. »Kann ich es Ihnen nicht vielleicht in so einem Katalog zeigen, da kann ich mich besser orientieren?«, fügte er noch fragend an.
Seine Frau nickte.
»Gelb sollte es jedenfalls sein. Knatsch-Gelb, wie ein Briefkasten, damit man es auch sieht.«
»Die meisten Kunden wünschen nicht so auffällige Farben«, warf der Verkäufer ein.
»Das sind sicher die, die abends den Platz zusammenrufen, weil sie ihre Koje nicht finden, diese Memmen«, fuhr es aus Karl heraus. »Und an eine Taschenlampe haben diese Weicheier auch nicht gedacht«, trumpfte er. »Und wenn diese Warmduscher an eine Latüchte gedacht haben, sind die Batterien bestimmt so leer, wie eine Feldflasche nach zwei Wochen Sahara.«
Seine Frau nickte.
Der geduldige Verkäufer blätterte in einem Katalog, zeigte Karl ein infrage kommendes Model und tippte mit dem Finger auf den Preis.
»Für den Preis kriege ich eine Eigentumswohnung!«, meinte Karl entsetzt.
Seine Frau nickte.
Der Verkäufer schmunzelte, als ob er an Karls Worten Zweifel hegte und meinte scherzhaft: »Nur in Damaskus.«
»Es muss nicht nur gelb sein, sondern auch noch leicht aufzubauen, so wie in den Filmen. Man zieht an einer Kordel und schwups, steht das Teil fertig da.«
»Ich fürchte, Sie sehen zu viele Bond-Filme«, vorwitzelte der Verkäufer frech und ergänzte: »Ein paar Handgriffe müssen Sie schon noch alleine hinkriegen.«
Karls Frau nickte.
»Es gibt«, fuhr der Verkäufer fort, »ein Video, in dem so ziemlich alle wichtigen Kniffe und Tricks gezeigt werden und das kann man eigentlich auf fast alle Typen anwenden.« »Und für welchen Typ halten Sie mich?«, wollte Karl wissen.
»Nicht Sie«, winkte der Verkäufer ab, »das Zelt ist gemeint, verstehen Sie, das Zelt?!«
Karls Frau nickte.
»Und«, fragte der Verkäufer etwas hastiger, als ob ihn eine inkontinente Blase regiert, »könnten Sie sich für diesen Typ erwärmen?« Jetzt deutete der Herr des Campings mit dem Finger im Katalog auf ein Zelt.
Karls Frau nickte.
»Du meinst, wir sollten das nehmen?«, sagte Karl zu seiner Frau und sah sie nicken.
»Und das Video nicht vergessen!«, schob der Verkäufer nach, »denn die neununddreißig Euro sind eine wirklich gute Investition«.
Manchmal, dachte Karl, kann man es mir wohl ansehen, dass ich ein Neuling in Sachen Zelt und Camping bin. Der Verkäufer hatte den Braten jedenfalls sofort gerochen – dieser Fuchs.
»Okay«, sagte Karl sichtlich erleichtert, »dann nehmen wir das Model Kreta … wo geht’s denn hier zur Kasse?«
»Ich muss es erst bestellen. Es wird dann in circa fünf Tagen frei Haus geliefert und erst anschließend wird der Kaufbetrag fällig«, sagte der Verkäufer ebenso erleichtert.
Ein Zelt zu kaufen ist nicht einfach. Unendlich viele Faktoren spielen eine entscheidende Rolle und all das hatte Karl übersprungen.
»Hauptsache es lässt sich leicht auf- und abbauen, passt in den Kombi, ist wasserdicht und bildet keinen Krater auf dem Konto«, flötete er vor sich hin, während seine Frau zum Ausgang schlenderten und nickte.
Eine Woche später klingelt es an der Türe. Der Lieferwagen mit dem Zelt stand da.
»Wo soll es hin, das gute Stück?«, fragte der Mann im Kittel.
»Am besten direkt in den Kombi … warten Sie, ich mach den Wagen hinten auf … wie ist es denn verpackt?«
»Gut – gut verpackt!«, schallt es aus dem Lieferwagen.
Aha, dachte Karl, einen Komiker gibt’s also gratis dazu. »Ich meine Karton oder Cellophan! Dann lassen wir nämlich die Verpackung nämlich gleich hier, damit ich nur das Zelt zum Campingplatz transportiere!«
»Das war mir klar«, sagte der Spaßvogel, »ich habe bloß einen Scherz gemacht«, ergänzte er und wuchtete das Paket von seiner Schultern auf die Ladefläche des Kombis.
Scheint nicht allzu schwer zu sein, dachte Karl, wenn er es auf den Schultern tragen kann. Dann hob er diesen Sack an den Seiten hoch. Er wollte ihn jedenfalls hochheben und bemerkte, wie ihn der Lieferant ein wenig mitleidig anschaute.
»Na ja, ich arbeite im Büro, da fehlt es ein wenig an Training«, stammelte Karl kleinlaut und angesichts seiner jämmerlichen Darbietung. Das Grinsen des Spaßvogels war jedenfalls nur noch chirurgisch zu entfernen.
Hoffentlich geht uns jemand auf dem Campingplatz zur Hand, betete er noch und schaute versonnen an seinem Wagen entlang. Als er ihn so dastehen sah, warf er die Überlegung, ihn irgendwann tiefer legen zu lassen, über Bord. Eigentlich müsste er bloß ständig ein Zelt transportieren und bekäme dasselbe Resultat. Seine Frau stand in der geöffneten Türe des Hauses und nickte.
Am nächsten Morgen ging es dann los. Etliche Tüten und Taschen waren gepackt und wurden sorgsam im Kombi verstaut. Das Ziel wurde dem Navi anvertraut, Türen zu und: »Campingplatz, wir kommen!« Wie beeinflussend Filme sein können, erfuhr er Minuten später, als ihm Fragen á la ist das Bügeleisen ausgeschaltet, der Kühlschrank runtergeregelt, die Rollläden der Fenster dicht und alles andere auch ausgestellt durch den Kopf fuhren.
Seine Frau tätschelte sein Knie und nickte.
Mit beruhigtem Gewissen trat er beherzt aufs Gaspedal. Eigentlich war sein Gewissen nicht wirklich beruhigt, er hatte sich bloß der Verantwortung entledigt, doch das beruhigte auch ungemein.
Das Wetter war herrlich, die Straßen waren so gut wie frei und sich drei Wochen Ruhe und Erholung zu gönnen, stimmte ihn fröhlich. Ein wenig Trübung erfuhr seine Fröhlichkeit nur in seinen Gedanken, das Zelt noch aufbauen zu müssen. Doch zum Glück hatte er das Video.
»Das Video! Wir haben das Video vergessen!«, stellte er lautstark fest. Er schaute aus den Augenwinkeln zu seiner Frau und sah sie nicken. Das Video lag also zu Hause auf dem Wohnzimmertisch. Es mitzunehmen hätte eh nichts genutzt, denn womit hätte er es abspielen sollen.
Wer würde schon einen Videorecorder samt Fernseher mit in den Campingurlaub schleppen …?
Zu Hause hätte er es sich wenigstens einmal anschauen können. Es aber erst nach dem Campingurlaub abzuspielen wäre unsinnig. Es wurde aber noch nie ausgepackt und benutzt, also könnte er es immer noch als Geschenk nutzen.
Genau.
Er zog seine Augenbrauen vor Erstaunen über seine eigene Pfiffigkeit bis zum Haaransatz hoch. Und überhaupt las er Gebrauchsanweisungen nie … auch nicht, wenn es sich dabei um ein Video handelte.
Endlich waren sie da. Jetzt nur noch zur Anmeldung gehen und ein gemütliches Plätzchen aussuchen … dachte er jedenfalls. Das mit der Anmeldung war schon richtig, aber das Aussuchen nicht. Auch hier hatte die Bürokratie unbarmherzig zugeschlagen – ein solcher Platz wird zugewiesen. Der Überblick dafür hing im Büro der Anmeldung und war auf dieser Karte, die in Planquadrate aufgeteilt war, zu betrachten.
»Da stehen die Wohnwagen«, gab der Wart von sich, »da sind die Zelte, da ist der Waschraum und da ist der Parkplatz … kapiert.«
Aber wo ist die einladende Schänke mit dem kühlen, frisch gezapften Pils, von der ich seit Wochen träume? Als Karl nachfragte, sagte man ihm, dass sich die meisten Camper selbst versorgen und von daher keine Notwendigkeit bestünde. Aha, dachte er, Durst ist also keine Notwendigkeit …
»Kann mir denn wenigstens jemand helfen, das Zelt aus dem Kombi zu wuchten?«, fragte er etwas unterwürfig.
»Klar, da kommt gleich jemand«, hieß es. Er solle den Wagen doch schon mal zu seinem Platz fahren, auf den Kollegen warten und den entleerten Kombi danach auf den Parkplatz stellen. Gesagt, getan. Nach wenigen Minuten traf besagter Kollege ein und wuchtete das Zelt zusammen mit ihm aus dem Wagen.
Seine Frau beobachtete das Geächze und nickte.
Das Zelt befand sich in einer Art Sack und den hielt ein Reißverschluss zu. Als das Paket dann endlich auf dem zugeteilten und angemieteten Platz lag, verschwand die hilfreiche Hand mit einem lakonischen »Tschüss.«
Da waren sie nun alle drei. Seine Frau, er und der schwere Sack mit dem Zelt. Angesichts der Uhrzeit sollte er sich sputen, den Inhalt des gewichtigen Pakets näher kennenzulernen.
Wie geht man nun vor? Seine Erfahrungen mit der Materie waren gleich null. Links und rechts die Zelte standen schon aufgebaut da und in ihnen schien gute Laune zu herrschen. Wie verhält man sich jetzt? Wie geht man jetzt dort hin und fragt? An eine Zeltwand zu klopfen wäre unsinnig. Niemand hört es und eine Klingel bot sich nicht an. Also macht man Krach, bis jemand kommt.
Karl zog den Reißverschluss auf und drehte den Sack herum, wie einen Ringer beim Schulterwurf. Begleitet von fürchterlichem Scheppern und Getöse, zog er den Sack ruckartig weg und schaute sich zum ersten Mal das neue Zelt an. Donnerwetter, dachte er, es ist tatsächlich gelb.
Seine Frau stand da, stemmte die Hände in die Hüften und nickte.
Noch ließ sich keiner der Zeltnachbarn blicken, die Störschwelle schien noch nicht erreicht worden zu sein. Plötzlich erspähten Karls Augen ein weiteres Säckchen. Es war viel kleiner als der Große, dafür härter.
»Da sind die Heringe drin«, ertönte eine Stimme. Entweder hatte ihn ein Camper gehört oder es war der Himmel. Das Fragezeichen in seinem Gesicht hat ihn offensichtlich verraten.
»Heringe?«, fragte Karl, um seine Ahnungslosigkeit zu übertünchen und deutete dabei auf die Erdhaken, »diese Fische leiden aber ganz gewiss nicht an Eisenmangel!«
»Die werden wie ein Pflock in den Boden gerammt und halten das Zelt über die Seile straff. Ohne Heringe hing das Zelt bloß schlaff herum«, erklärte sein Retter. »Sie campen wohl nicht sehr oft?«
Erwischt, dachte er und schleimte: »Sie aber umso öfter, stimmts?!«
»Nee«, antwortete der Herr der Heringe, »das hab ich alles aus’m Video, das gab’s nämlich beim Kauf unseres Zelts gratis dazu.«
»Ist schon verrückt, was es alles auf Video gibt«, heuchelte Karl in der Hoffnung sich dadurch aus der Affäre lavieren zu können.
»Wenn das Zelt bis zum Abend stehen soll, müssen Sie aber Gas geben … oder soll ich Ihnen helfen … übrigens duzen wir uns hier auf dem Campingplatz alle.«
Ein Begnadeter, ein Hellseher, ein Heiliger oder ein ehemaliger Pfadfinder, dachte Karl.
»Das würden Sie … also du tun? Na dann werden wir aber anschließend kräftig einen d’rauf trinken!«, würdigte er die Situation. »Ich bin übrigens der Karl und das ist meine Frau.«
»Angenehm, ich bin der Heinz. Ja – dann mal ran an die Bouletten!«
Aus den Augenwinkeln sah er seine Frau nicken.
Heinz besorgte einen Werkzeugkasten und holte seinen Sohn, den Klaus. Er selbst spielte gerne den Handlanger und reichte ein Teil nach dem anderen an. Fein säuberlich wurde sämtliches Zubehör zuvor auf dem Boden drapiert, wie eine Strecke nach der Jagd.
»So verschafft man sich erst einmal einen Überblick«, meinte Heinz, während seine Frau und Klaus nickten. »Und dass man sich untereinander hilft, ist unter Campern üblich«, fügte er noch an. Das Zelt stand in Windeseile vor seinen Augen, als ob Heinz und Sohn Klaus nie etwas anderes gemacht hätten.
»Ich habe leider kein Bier dabei, ich dachte, hier auf dem Platz wäre eine Kneipe, aber das ist wohl nicht so«, dachte Karl laut.
»Hundert Meter ortseinwärts auf der rechten Seite ist eine Kneipe, die verkaufen auch Bier in Flaschen«, sagte Heinz und spielte auf das Angebot an, zumal Karl einen ausgeben wollte.
Und dann sagte Heinz etwas, worüber Karl noch während des ganzen Urlaubs nachdenken sollte, denn Heinz sagte: »Warum hast du eigentlich ein gelbes Zelt gewählt? Wusstest du nicht, dass sich Mücken gerade von Gelb angezogen fühlen?«.
Karl blickte sich betroffen um und sah, wie seine Frau nickte und hämisch dabei grinste.
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