Das ganze Leben ist Mobbing

Okt 22nd, 2012 by Lutz Spilker

Konkurrenz belebt das Geschäft, gilt als faire Spielregel quer durch alle Segmente des Business. Besser ist es jedoch, erst gar keine Konkurrenz zu haben. Also schaltet man sie subtil oder eher plump aus. Was sich mit Chefsessel, Sekretärin und Vorstadtvilla im Zweireiher abspielt, beginnt womöglich schon in der Krabbelgruppe mit Mobbing.

Zuerst wird die Plastikschaufel oder das Förmchen eines bis dahin noch erträglichen Mitbewohners des Sandkastens verbal vernichtet. Erst wenn diese windeltragende Kreatur das vermeintlich minderwertige Spielzeug rausrückt und das Areal verlässt, geht man als Sieger aus der Nummer hervor und bekommt Geschmack auf mehr.

Eltern – meistens geht es um Mütter – werden eingelullt, mit theaterreifen Heuleinlagen eingenordet und auf Spur gebracht. Verstärkung aus den eigenen Reihen ist nicht immer erforderlich, doch auf alle Fälle zweckdienlich. Eilt dann die fürsorgliche Mutter zum heulenden Kind, reibt sich dieses gekonnt mit der einen Hand den Rotz von der Nase und deutet mit der anderen auf den völlig Unschuldigen.

Dieser sich noch nicht verbal wehren könnende Kleinbürger erfährt zwar auch Support aus Richtung der genspendenden Fraktion, wird jedoch als potentieller Missetäter dahingestellt. „Schäm dich… wie kann man nur… wo soll das enden… was soll aus dir werden…“. Wahrscheinlich wird diese Person schon in jungen Jahren den Berufswunsch „Rechtsanwalt“ verwerfen. Schließlich weint das andere Kind nicht aus Freude. Kaum wird per „reicht euch die Hände“ Freundschaft geschlossen und eine Art infantile Blutsbrüderschaft initiiert, geht die Runde an die synthetische Heulsuse und der Loser ist die Person ohne juristische Zukunftsperspektive.

Die Rolle des Untergebenen besitzt jetzt schon ein eigenes Muster in der Denkschüssel des Opfers Jede ähnliche Situation wird diesem Muster unterworfen und ohne größeren Widerstand vollführt. Diese imaginäre Bückhaltung ist für Orthopäden nicht sichtbar, jedoch für Pseudo-Alphas.

In der Schule geht der Terror weiter und beginnt gleich am ersten Tag mit der Plünderung der Schultüte. Schule soll schließlich Spaß machen und fürs Leben prägen. Die Aussicht Klassensprecher zu werden ist mies. Eher trinken Papst und Belzebub Brüderschaft. Die Chance Klassenstärkster zu werden, schrumpft im Sekundentakt. Es ist nicht angenehm im eigenen Spind eingeschlossen zu werden, wenn Inkontinenz das einzige Erbe des Großvaters war. Sich herausreden zu wollen und zu behaupten, dass es sich um Tränen der Verzweiflung handelt, scheitert an der Menge, an der Farbe und am Geruch.

Das fast stündliche Eintreffen irgendwelcher Verunglimpfungen des eigenen Konterfeis, ist geradezu entmutigend. Kaum zieht jemand von hinten die Sporthose runter, steht eine andere Person vorne dran und fotografiert diese Peinlichkeit. Gerade die Technik der Fotohandys ist dabei sehr hilfreich, denn in Sekundenschnelle haben alle anderen das Ergebnis ebenfalls auf dem Display.

Gonzos Nase ist offensichtlich die Vorlage für die danach folgende Parade per Photoshop. Und dann stehen sie in den Pausen auf dem Schulhof, begaffen das Bild und krümmen sich vor Lachen. Ab und zu zeigt man mit dem Finger auf den Motivgeber. Alles erinnert an die Szene im Sandkasten, auch dieses merkwürdige Grummeln in der Bauchgegend ist wieder da. Die Inkontinenz hat sich ein wenig gelegt, dafür stellt sich momentan ein Gefühl maximaler Übelkeit ein. Mit dem Leberwurstbrot und dem Gürkchen war doch hoffentlich alles ok, oder? Nicht, dass ein Schuss nach hinten los geht, diese Blamage wäre unerträglich, vom Gestank erst gar nicht zu reden.

Bei den Mädchen ist es nicht besser. Kaum eine traut sich noch im Rock zur Schule. Ausnahmslos tragen fast alle Jeans. Da lässt sich schwer drunter schauen oder das Höschen fotografieren. Die größeren Mädels tragen schon einen BH und die Jungs machen sich einen Jux daraus, mit dem Finger vorne unter den BH zu haken und ihn dann nach oben zu ziehen, so dass sich die Girls wegdrehen, denn ihre Möpse müssen wieder ordnungsgemäß verpackt werden.

Es gibt nur zwei Möglichkeiten nach der Schulzeit: Es allen zu zeigen oder sich mit dem Schild „Loser der Woche“ an der Stirn zu präsentieren. Das Schild macht das Rennen, der Loser ist wieder vorne. Jede Stelle, an die man anecken könnte, wird gemieden oder rund gelutscht. Ein Kollege besitzt einen Wunsch, viele Kollegen besitzen viele Wünsche, meist zur gleichen Zeit.

So wird das bereitstehende Opfer dressiert und zum Kalfaktor gesattelt. Ersparen ließe sich ein angesägter Stuhl, denn hier ist das ganze Leben angesägt.

Die Kappe des Salzstreuers ist nie vernünftig zugeschraubt, der Garderobenhaken ist nur noch mit Tesafilm befestigt, der Locher locht nicht und der Tacker ist ständig leer. Der Kopierer scheint explodieren zu wollen, die Tageszeitung im Briefkasten zuhause stinkt nach Hundekacke und alles und jedes scheint manipuliert worden zu sein. Selbst bei den eigenen Kindern und der eigenen Frau macht sich das unterschwellige Feeling breit, nicht mehr willkommen zu sein, nicht mehr geliebt zu werden.

Hämische Blicke scheinen wie Wurfgeschosse abgesondert zu werden und das Gefühl der permanenten Minderwertigkeit nimmt Gestalt an. Jetzt ist es besser zu gehen. Mit knapp sechzig Lebensjahren ereilt die Erkenntnis das Opfer und schlägt zu. Wenn die Träger jetzt noch auf dem Weg zur ewigen Ruhe den Sarg absichtlich fallen lassen, ist es ganz sicher, dass es ein Mobbing-Opfer war.

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