Katholisch erzogen

Aug 10th, 2011 by Lutz Spilker

Manchmal stehe ich vor der Frage, was es eigentlich für mich bedeutet, katholisch erzogen worden zu sein. Es klingt allemal besser, als ohne das Attribut der Glaubensrichtung. Nur erzogen worden zu sein erscheint – im Sinne einer möglichen Vollständigkeit – dagegen mangelhaft.

Es will jedenfalls so anmuten. Oftmals höre ich, wenn irgendeine Person in einem Satz diese Beschreibung benutzt und katholisch erzogen wurde. Schau an, denke ich, der also auch. Im Gegensatz zu Fans eines bestimmten Fußballvereins ergeben sich keine Gemeinsamkeiten. Weder Schal, Jacke und/oder aufgenähte Sticker, weisen auf etwas Gemeinsames hin.

Auch existiert kein typischer Schlachtruf, der eine Gleichgesinnung erkennen ließe.

Sonntags gingen die Eltern mit ihren Kindern beinahe schon demütig, auf jeden Fall jedoch gesittet zur Kirche. Schließlich könnte die Familie von einem Nachbarn gesehen werden und ein albernes Benehmen auf dem Wege zum Herrn, wäre als unwürdig betrachtet worden. Der Gang zum Gotteshaus wurde somit als fester Bestandteil des Tages betrachtet und die Garderobe war eine ganz Besondere. Sie bestand vorrangig aus den sonntagsen Schuhen, der sonntagsen Hose und einer sonntagsen Jacke, wie Oma sich auszudrücken pflegte … wer wollte da widersprechen?! Die in der Kirche, während der Messe abgehaltenen Prozeduren, kannte ich als Kind im Schlaf.

Um die Kollekte nicht nur an den Nächsten weiterzugeben, sondern sie auch mit einem Scherflein zu füllen, bekamen mein älterer Bruder (uns trennen 13 Monate) und ich zuvor Geld von Mutter. Auch das war eine sich ständig wiederholende Prozedur. Gemeinsam ging man dann mehr oder minder andächtig nach Hause und verbrachte den Rest des Tages wie sonst auch.

Aber was war daran katholisch? Was war daran nicht evangelisch, könnte man ebenso fragen. Unsere Erziehung war normal. Nichts anderes, als bei anderen Familien. Hie und da kommt man mit Klassenkameraden ins Gespräch – worüber Kinder so reden – und stellt nichts Außergewöhnliches fest.

Viele Jahre später und selbst heute stelle ich mir immer wieder die Frage, was war an der ganzen Angelegenheit katholisch?

Dazu gesellten sich im Laufe der Zeit weitere Fragen. Wie hoch ist der Nutzungsgrad eines Kirchengebäudes, gemessen an der – baubedingten – blockierten Grundfläche? Als Gegenbeispiel könnte man einen Supermarkt zitieren, dessen Türe und Tore an 6 Tagen in der Woche offen stehen und das tun, was in einer kapitalistisch orientierten Gesellschaft Trumpf ist; nämlich Umsatz.

Und eine Kirche, also das Gebäude? Es steht – gemessen am Nutzungsgrad – überwiegend leer herum, nimmt jedoch eine gewisse Fläche in Anspruch. Addiert man alle diese Filialen des Klerus nur in Deutschland, so erhält man eine riesige Fläche. In fast jeder Gemeinde existiert eine Kirche. So wie die Filialen der Sparkassen hat man flächendeckend Kirchen gebaut. Chronologisch allerdings in umgekehrter Reihenfolge.

In den Bankfilialen ist täglich Betrieb. In den Kirchen jedoch nicht. Nicht täglich!

Für den Fall, dass alle möglichen Gläubigen sich in einer dieser Kirchen versammeln wollen, wurde sie entsprechend großzügig angelegt. Im Laufe der Jahre hat sich die Zahl der sich zu versammelnden Personen stark zurückgebildet. Kinos wurden verkleinert, gesplittet und man demonstrierte erkannten Handlungsbedarf.

Geschah Ähnliches mit Kirchen? Eine merkwürdige Hochachtung lässt sich bei Gebäuden beobachten, die zum sich Wahrzeichen etablierten. In Deutschland wäre allen voraus der Kölner Dom zu nennen, der öfter besucht wird, als die fantasievolle Architektur von Neuschwanstein.

Jahrhundertelang wurde an diesem Dom gebaut. Genauso stehen die Kathedralen von Palma de Mallorca und anderen weltbekannten Orten da und degradierten sich selbst zum „Wunderwerk architektonischer Kunst“ oder zum Pfingstochsen, wie es Spötter auszudrücken pflegen.

Sie werden besucht, fotografiert und zum silhouettenhaften Erkennungsmerkmal erkoren, aber stehen ihrer eigentlichen Nutzung extrem distanziert gegenüber.

Und das ist katholisch? Einem Gebäude zuzujubeln, es zu feiern und ihm zu huldigen? Einem Gebäude? Derlei Unterfangen sind noch nicht einmal bei Richtfesten zu beobachten, wenn die eigenen vier Wände ein Dach bekommen und der Bauherr sein Glas zum „Wohlsein“ hebt. Wahrscheinlich wäre es zynisch zu fragen, ob der Bauherr katholisch sei? Seinem Verhalten nach fiele das Urteil anders aus.

Und weil ich in einer katholischen Kirche getauft und zur Kommunion geschickt wurde, gefirmt wurde und zur Beichte ging, bin ich katholisch erzogen worden? Weil man mich das „Vater Unser“ auswendig zu sagen lehrte und etliche andere Gebete ebenso, bin ich katholisch erzogen worden? Wo wäre ich oder stünde ich jetzt, hätte man mich nicht katholisch erzogen?

Welcher Unterschied wäre zu spüren oder gar zu bemerken? Woran ließe sich erkennen, ob ich evtl. nur erzogen worden bin, jedoch nicht katholisch? Sie drängelt sich irgendwie ins Rampenlicht, diese prädikatähnliche Erwähnung, dass man katholisch erzogen worden ist. Aber wo ist die Depotwirkung, wie lange hält es vor? Wird man nicht, ab eines gewissen Alters, über die erziehungstechnischen Umstände seiner Kinderzeit Herr?

Heute sehe ich aus denselben Augen wie eh und je. Doch meine Wahrnehmung ist angereichert mit Erfahrung. Daraus entsteht Kritikfähigkeit und ich sehe sie immer noch, die Ministranten, die in Kirchen stehen und stolz darauf sind, weil sie etwas tun, was nicht jeder tut. Ihre Schuhe sind immer noch genauso ungeputzt, wie manche ihrer Nasen, es hat sich nichts geändert.

Sie sehen die Kirche weder als Gebäude, noch als Arbeitsstätte. Für sie ist es ein Treffpunkt mit einem Symbol auf dem Dach. Es könnte auch eine Pilgerstätte, ein Zufluchtsort oder Souvenirstand sein. Dürfte man dort tanzen und spielen, singen und fröhlich sein und Dinge tun, die man tut, wenn man normal lebt, dann wäre der Nutzungsgrad der Gebäude namens Kirche erheblich höher angesiedelt.

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