Früher war alles besser

Jun 17th, 2013 by Lutz Spilker

War früher wirklich alles besser?

Gut, besser, am besten. So lautet zumindest die korrekte Komparation dieser Adjektive, aber darum geht es wohl kaum. Beängstigend ist jedenfalls die Annahme jener, welche früher (noch) nicht dabei waren, dass es immerhin besser gewesen sein könnte. Diese Unsicherheit kommt allerdings erst gar nicht auf, denn die, die wann-auch-immer dabei waren wissen es genau und trompeten wie aus einem Rohr: Früher war alles besser.

Was genau früher besser war, ist absolut ohne Belang. Es scheint sich um eine Allzweckwaffe zu handeln, die bei jeder erdenklichen Situation Einsatz findet. Offensichtlich scheint früher alles besser gewesen zu sein und wann genau früher war, ist ebenfalls ohne Belang. Jedenfalls war es vor der Zeit, um die es im Streitfall ging. „Diese neunmalklugen Grünschnäbel haben eh keine Ahnung, das ist bekannt!“ Sätze wie in Marmor gemeißelte Weisheiten.

»Das Bessere ist der Feind des Guten«, frotzelte Voltaire (1694 – 1778).

Wann beginnt man, wenn es um „früher“ geht? Ganz früher gingen Menschen zu Fuß. Dann kamen die von Vieh gezogenen Karren. Später kamen die Kutschen und irgendwann danach kam der Mensch auf die Idee, sich per Motorkraft chauffieren zu lassen. Auf dem Land, in der Luft, auf dem und unter Wasser. Aus holprigen Feldwegen wurden Betonpisten, mehrspurige Asphaltwege in alle Richtungen. Wäre ein holpriger Feldweg also besser, als eine ebene Straße?

Vielleicht meint man den Menschen. Früher war der Mensch ehrlicher, verlässlicher, gemütlicher und insgesamt redlicher. Oder? Früher waren die Haare kürzer, die Winter kälter und die Nächte dunkler. Oder? Jesus wird immer mit schulterlangen Haaren abgebildet und Samson’s Kraft schien von seiner Haarlänge abzuhängen. Jemanden wegen der Länge der Haare als Gammler oder Hippie zu bezeichnen, ist daher nicht zutreffend.

Die miterlebten Situationen und seien sie noch so unpässlich verlaufen, werden seitens der Berichterstatter bzw. der Dabeigewesenen oft als früher bezeichnet. Und da war nicht nur alles anders, sogar besser. Schließlich war man dabei, man hat es miterlebt, kann sich ein Urteil erlauben und niemals würde man übertreiben, oder gar lügen. Die ganze Welt war früher irgendwie besser. Doch was versteht man unter irgendwie?

Der Mensch lügt und betrügt schon seit Urzeiten.

Mit dem Jetzigen kann man nicht zufrieden sein, also ist man es auch nicht und begehrt auf. Das tat der Mensch jedoch nicht nur früher, sondern generell. Der Mensch war mit dem Erreichten nie zufrieden. An jedem und allem fand und findet er etwas Verbesserungsfähiges, sich selbst jedoch in diesen Dingen für nicht zuständig. Also wird die gesamte Szene in eine noch nicht oder nicht mehr greifbare Zeit transponiert und stereotyp behauptet, dass früher alles besser war.

Und wenn das Bessere nicht – in längst vergangenen Epochen – Unterschlupf findet, dann in der Zukunft, denn die ist noch nicht da. Oder? In der Zukunft ist auch alles besser, genau wie früher. Und momentan? Momentan könnte alles viel besser sein, bestimmt. Allein die medizinische Versorgung, die Hygiene und das Bildungswesen, könnten sich an frühere Zeiten orientieren. Als sich der Frisör noch gleichzeitig um die Beißerchen kümmerte, das wöchentlich stattfindende Bad der familiären Hierarchie folgte und Latein als Muttersprache für Studienräte galt. Früher besaß lediglich Captain Kirk ein Gerät, mit dem man kabellose Kommunikation betreiben konnte und mittlerweile ist das Handy selbst Kindern nicht mehr fremd.

Früher rückt Tag für Tag nach.

Idyllisch muten Erinnerungen an, wenn Oma und Opa friedlich auf einer Bank vor dem Haus weilen. Die Arbeitswoche dauerte seinerzeit länger, der einzelne Tag auch, die Arbeit war härter und in jeder Form unsicherer. Die Gassen waren eng und die Lampen hießen Funzel. Früher war eine andere Zeit. Ob sie besser war? Die Zeit sicher nicht, aber bestimmt einzelne Menschen.

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